Die Abtei Cîteaux, das einstige Herz des Zisterzienserordens wurde 1098 durch
Robert von Molesme,
einem Adligen aus der Champagne, als Gegenpol zu Cluny als „novum monesterium“ gegründet und gedieh zum Mutter- und Normkloster von etwa 740 Zisterzienserklöstern in ganz Europa. Robert von Molesme folgten die Äbte Alberich und Stephan Harding. Aber erst durch die Ankunft des 22-jährigen Bernhard von Fontaines im Jahr 1112, zusammen mit ca. 30 Verwandten und Freunden, darunter vier leibliche Brüder, nahm die unglaubliche Expansion des Ordens von Cîteaux richtig fahrt auf. Schon nach zwei Jahren traut der Abt Stephen dem 25-jährigen die Führung der Mönche an, die er nach „clara vallis“ ausschickt um Cîteauxs dritte Tochterfilliale zu gründen: Aus dem Ritter Bernhard von Fontaines wird Bernard von Clairveaux.
Während Suger, der Abt von Sankt Dionysus, im Jahre 1147 damit begann eine Architektur des Lichts, eine aus Stein und Glas gebaute Verkörperung des „himmlisches Jerusalem“, als Abbild des Gottesreiches auf Erden zu bauen, war der Superstar der Epoche, Bernhard von Clairvaux, schon seit sieben Jahre dabei eine neue Klosteranlage, heute als Clairevaux II bezeichnet, zu errichten. Im Gegensatz zu Suger (oder der Abtei Cluny) wollte Bernhard ausdrücklich keinen pompösen Palast; der wäre mit dem Geist der Armut der zisterziensischen Gründungsväter nicht vereinbar gewesen. Das besondere an den Mönchen von Cîteaux war gerade, die mit extremer Strenge angewandt Benediktinerregel.
Der heilige Bernard von Clairveaux war genial, skrupellos, sendungsbewusst, begeisterte seine Zeitgenossen mit seiner Rhetorik. Sicherlich unter dem Einfluss der sich schon abzeichnenden ökonomisch unguten Entwicklung Clunys, dem „Licht der Welt“, des mit Abstand mächtigsten Klosters der Zeit, entwickelte Bernhard ein architektonisches „Gegenprogramm“ der Schlichtheit. Die gigantische Klosterkirche Cluny konnte man ohnehin nicht toppen; sie war bis zum Wiederaufbau von Sankt Peter im Vatikan der größte Kirchenbau der Christenheit. Vielleicht waren es auch ökonomische Gründe, aus denen Bernhard seine Mönche härter arbeiten und weniger beten ließ, was direkten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit seiner Klöster hatte. War es den Herrschern im 10. und 11. Jahrhundert noch ein Anliegen, dass für ihr Seelenheil und das ihrer Angehörigen gebetet wurde, so mögen im 12. Jahrhundert nach Wetterkapriolen und Missernten, anderer Prioritäten gegolten haben, z.B., dass die Klöster ertragreich arbeiteten.
Ausgehend von der Benediktsregel, welche das Kloster als „Raum des Gebets“ bezeichnete, entwickelte Bernhard eine sehr erfolgreiche – man könnte sagen – Kloster Franchise mit einem funktionalen Schema, einem Idealplan für die allgemeine Klosteranlage, die insbesondere die Formensprache, die Dekoration und alles was den Geist des Bauprojektes ausmachte, vorgaben. Ein Kloster sollte den Rahmen für ein Gemeinschaftsleben nach der Benediktsregel ermöglichen, die ein Leben in Armut und Askese fordert. Armut in der Architektur bedeutete für die Zisterzienser aber gerade nicht, Abstriche bei der Qualität: die Bauwerke sollten sich gegen die Zeit behaupten. Und wo es ihm sinnvoll und nötig erschien, modifizierte Bernhard die Benediktiner Regel und baute neue Klöster nicht auf Bergen sondern in Tälern bzw. in Sümpfen. Vielleicht auch, um sich gegenüber Cluny abzugrenzen, welches an der romanischen Architektur festhielt, wandten die Zisterzienser früh neue Bautechniken an, die es ihnen, ökonomisch vertretbar, erlaubten helle, große, hohe und breite Klostergebäude, ganz aus Stein zu bauen. Diese neuen technischen Neuerungen waren: eine nicht mehr tragende Wand aus schlichtem Mauerwerk; das Kreuzrippengewölbe dessen Rippen die Wölbungen kreuzen und so die Schubkräfte auf die Pfeiler verlagern; Untergurte aus Eisen; der dreistufige Wandaufbau (große Arkaden, Galerie und Triforium, Lichtgaden); Strebeböge, die als Widerlager dienten. Sämtliche Abteien berücksichtigten den funktionalen Bauplan, den Bernhard beim Bau von Clairvaux und Fontenay realisiert hatte.
Allerdings gleicht während der zisterziensischen Baublüte, kein Bau dem anderen. Auf dem gleichen Grundriss entstand jeweils verschieden gestaltete Bauten, die den Bedingungen (z.B. die Art und Weise der Wasserversorgung, verfügbare Rohstoffe und vorherrschendes Klima) des jeweils gewählten Standorts angepasst wurden. Trotzdem kann man noch heute, in den über 700 zisterziensischen Männerklöster, Grangien, Kellereien, Mühlen, Schmieden und Stadthäuser, die Handschrift Bernards erkennen. Die Zisterzienser wurden zu Missionaren der Gotik (auch wenn einige- z.B. die zisterziensischen Klöster in der französischen Provence, am romanischen Stil festhielten) und entgegen der eigentlichen Absicht des Ordens, der seine Klöster nicht als Kunstwerke verstanden sehen wollte, wird die Zisterzienserarchitektur heute noch bewundert.
Bilder Quellen: ©Martin Seeger
Quellen: (S.89 Die Zisterzienser)