Wie Saint Denis das Paradies auf die Erde brachte
Dies ist der zweite Teil der Geschichte von St. Denis, einem Heiligen, in dessen Persona die Götter der Antike mit der christlichen Glaubenswelt zusammenkommen, um gemeinsam großartiges zu schaffen: nicht weniger, als das Paradies auf Erden.
Dionysos Aeropagita
Um das Jahr 500 n. Chr. tauchen eine Reihe von Schriften von Dionysos Aeropagita (z.B. „Die mystische Theologie“, „Die göttlichen Namen“, „Die kirchliche Hierarchie“ und „Die himmlische Hierarchie“) auf, die, nach der Bibel, zu den einflussreichsten Schriften der Christenheit zählen. In diesen Schriften beschreibt Dionysos den Kosmos, in einer von Gott absteigenden Stufe, als himmlische und irdische Hierarchien, basierend auf der Grundeinsicht, „dass der göttliche Urgrund alles Sein und Erkennen übersteigt, dass sein unermessliches Licht der menschlichen Fassungskraft nur in der Gestalt der Dunkelheit erscheinen kann“. Interessant an dieser Formulierung ist die Parallele mit der Legende von dem Tod der Semele, Weingott Dionyos Mutter. Semele wünschte bzw. verpflichtete Zeus, sich ihr in seiner wahren göttlichen Herrlichkeit zu zeigen. Zeus erschien mit Donner und Blitz umgeben, worauf Semele unter den Lichtstrahlen verbrannte. (Heute gilt es als unwahrscheinlich, dass diese Schriften von dem Paulus-Schüler Dionysios Areopagita stammten.)
Abtei und Basilika Saint-Denis
Um 626 baute der fränkische König Dagobert I. an der Stelle des Grabes des Heiligen Dionysus von Paris die Abtei und Basilika Saint-Denis, die den französischen Königen als Grablege diente.
Im 9. Jahrhundert verfasste der Abt des Klosters Saint Denis Hilduin eine Abhandlung über den Pariser Märtyrer St. Dionysius und übersetzt auch die Schriften des Dionysos Areopagita ins lateinische, die so eine weite Verbreitung fanden. Indem er die drei Namensträger, also des in der Bibel erwähnten Dionysius, des Märtyrers und des Autors der areopagitischen Schriften verschmolz und gleichsetzte, konnte er seinem Kloster einen enormen Bedeutungszuwachs verschaffen.
Suger, Abt von Sankt Dionysus: Architektur des Lichts, Erfindung der Gotik
Im Jahre 1147 begann Suger, der Abt von Sankt Dionysus den Neubau der Klosterkirche, der ersten im neuen Stil, (den man viel später gotisch nennen würde) eine aus Stein und Glas gebaute Verkörperung des „himmlisches Jerusalem“, als Abbild des Gottesreiches auf Erden. Das „Himmlische Jerusalem“ entspringt einer Vision aus dem neutestamentlichen Buch der Offenbarung des Johannes. Die Stadt soll von gleißendem Licht strahlen, aus glasartigem Gold und von würfelförmiger Gestalt sein. Suger wollte eine Architektur des Lichts, eine Architektur die den „Geist zum Ursprung des Lichtes, zum wahren Licht hinführen, dessen Pforte Christus selber ist“. Die Kathedrale war ursprünglich farbig bemalt. In den Tabernakeln standen Engel, die „Wache hielten“ und Dämonen (als Wasserspeier gestaltet) sollten das Böse abwehren. Die Fensterrose über dem Mittelportal symbolisierte die Sonne und damit Christus. Die Gewölbe waren oft mit goldenen Sternen auf blauem Grund bemalt, daher kommt dann auch die Bezeichnung Himmelsgewölbe.
Den Himmel auf Erden errichten, dem Licht Gottes ein Monument zu bauen.
Das Heilsversprechen welches von diesen Kathedralen ausging war immens und ein erster Höhepunkt und Ausgangspunkt der europäischen Zivilisation. Durch die Verschmelzung der drei, die den Namen des Gottes des Weines trugen, dem griechischen, durch Paulus bekehrten Dionysos Aeropagita, den byzantinisch/römischen Verfasser des Corpus Dionysiacum und Dionysus von Paris, dem Nationalheiligen Frankreichs und Schutzpatron der französischen Könige entstand ein mächtiges Fundament für eine neue Zivilisation, die sich deutlich von der griechisch-römischen emanzipieren konnte.
Epilog – Stade de France
Nicht um die Erfindung der Gotik, dem Nationalheiligen von Frankreich oder die Grabstätten der französischen Könige zu würdigen, wurde das prestigeträchtige „Stade de France“ in Saint-Denis gebaut. Vielmehr galt nach dem Zweiten Weltkrieg die Plaine Saint-Denis, als eine der größten Industriebrachen Europas.
1985 beschloss die französische Regierung daher, das Gebiet zu sanieren bzw. neu zu gestalten. Das Stadium wurde sozusagen der Schlussstein dieses Plans. Und am 10. Juni 1998 schaute die ganze Welt wieder auf Saint-Denis: in dem neuen, über 80.000 Zuschauer fassenden Stade de France wurde (nein, nicht die olympischen Spiele) die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen, die Frankreich als Gastgeber gewinnen sollte. Star des Spektakels war (nein, nicht Dionysios) sondern ein Spieler dessen Name „Schönheit des Glaubens“ und „Wachstum bzw. Fortschritt“ bedeuten: Zinédine Zidane. Wie passend, denn ist es nicht der „Glaube an den Fortschritt“ der das christlich-europäische „Streben nach dem Himmel auf Erden“ abgelöst hat?
21. Jahrhundert: Streben nach dem Himmel auf Erden versus Kalifornische Ideologie
Seit Anfang des 20. Jahrhundert ist der „Glaube an den Fortschritt“ die zunehmend bestimmende Ideologie. Von Europa ausgehend, sitzen ihre Hohepriester heute fast ausschließlich an der US-amerikanischen Westküste, weshalb der Begriff der „Kalifornischen Ideologie“ geprägt wurde. Im Silicone Valley nutzen sie das Sinnes-Vakuum und füllen es mit Technik Produkten. Technik wird als spirituelles Erlebnis– und CEOs wie Steve Jobs, als inspirierende Erlöserfiguren inszeniert. Doch das Technikevangelium ist hohl und statt Werte zu schaffen, arbeitet Silicone Valley vornehmlich an der Steigerung des eigenen Börsenkurses. Das zentrale Versprechen der Kalifornischen Ideologie, nämlich die Leben der Menschen durch Erfindungen zu bereichern, wird sie nicht einhalten werden können. Im Gegenteil, Überwachungs- und Optimierungsmechanismen, drohen die Leben der Menschen zu einer Hölle auf Erden werden zu lassen. Facebook, Google, Amazon und Apple nehmt euch in Acht: Ihr habt den „Hippie Bonus“, den sich Kalifornien in den 60er Jahren erworben hat, aufgebraucht.
Dionysos Befreier und Zerstörer
Der Heilige Dionysius ist einer der vierzehn Nothelfer der, passender Weise, bei Kopfschmerzen aber auch Tollwut, Gewissensunruhe und Seelenleiden angerufen werden kann. Dionysos, der Befreier, ist meist der Menschen Wohltäter, er kann aber auch ihr Zerstörer sein. Europas Widerstand gegen die zunehmende amerikanische Sinnlosigkeit ist am Erlahmen. Ob Dionysos, Gott des Dramas, gefallen findet, an den Spielen im „Stade de France“ oder (und warum nicht?) an den vielen neu-gegründeten Filmstudios von Saint-Denis? Zum Glück gibt nebenan in Saint-Denis und anderswo in Europa, Kathedralen, die uns in ihrer Schönheit daran erinnern, dass die Menschen einmal einen Sinn darin fanden, es zumindest zu versuchen, den Himmel auf Erden zu holen.
Nachwort:
Im Jahr 1846 wurde der Nordturm der Kirche von Saint Denis abgetragen, nachdem ihn zunächst ein Blitzschlag und später ein Tornado schwer beschädigt hatten. Anfang 2018 einigten sich der Staat mit dem Bischof und beschlossen den Nordturm binnen sechs Jahren wieder aufzubauen.
Quelle:
Bildquelle: © Martin Seeger
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1465_Le_Moiturier_Hl._Dionysius_anagoria.JPG Antoine Le Moiturier [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)]
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Datei:Stade de France – panoramio (2).jpg – Wikipedia https://images.app.goo.gl/yX6awCu7GoRvCyFx9