Mit Bernhard von Clairvaux hatte das Mönchtum den Zenit ihres Einflusses und Macht erreicht. Die Allianz von Klerus und Adel zur Beherrschung des Rests der Bevölkerung, vornehmlich Bauern, bröckelte und endete im öffentlich ausgetragenen Investiturstreit. Die zunehmend wachsende Zahl freier Stadtbewohner, begann die Päpste und ihre Glaubensdiktatur zu hinterfragen und suchten Alternativen wie die Glaubensbewegung der Katharer. Angefangen hatte diese Entwicklung damit, dass die Kloster- und Domschulen ihr Bildungsmonopol verloren.
Gegenwind für die burgundische Ordnung
In der Karolingerzeit bis in das frühe Hochmittelalter waren Zentren für Schulen ausschließlich Klöster und, bei hinreichendem Interesse der Herrscher, die Königshöfe. Nur selten sind Bischofssitze hinzuzuzählen, so etwa Metz und Reims, sowie die englischen Bischofssitze Canterbury und York. Im 11. Jahrhundert begannen die Städte zu wachsen, ihre Wirtschaftskraft wurde stärker und die Domschulen, begannen erst den Klosterschulen gleichrangig zu werden, um sie dann langsam zu überflügeln. Eine Folge war, dass das Publikum für intellektuelle Schriften und Diskussionen breiter wurde und dadurch eine Emanzipation von der dogmatischen kirchlich geprägten Lehre und ein Rekurrieren auf die Vernunft, als das alle Menschen Verbindende, stattfinden konnte.
Berengar von Tours um 1000 bis 1088
erklärte die Wahrheit als höchstes göttliches Prinzip und die menschliche Vernunft als irdische Quelle dieser Wahrheit. Er kritisierte die herrschende Lehre, wonach während der Heiligen Messe, in der Eucharistie, Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christ umgewandelt würden; Nicht metaphorisch, sondern wirklich. Berengar von Tours wollte ein vernünftiges Christentum, über dessen Wahrheiten vernünftig, das heißt entsprechend den Regeln der Logik, gesprochen werden kann. Er leugnete nicht die Wirklichkeit der Eucharistie, jedoch war sie ihm nicht dinghafte Veränderung der sinnenhaften Wirklichkeit, sondern eine die Gläubigen verwandelnde Kraft.
Berengar ging in seiner Kritik an der Transsubstantiation logisch-grammatisch vor. Wer Eigenschaften ohne Substanz existieren lässt, zerstört die Fähigkeit der Verständigung, zerstört die Vernunft. Ohne Logik keine Verständigung. Die Vernunft macht den Menschen zum Ebenbild Gottes. Die Dialektik hat Teil an den Gedanken Gottes. Dieses von Berengar entwickelte Programm, wurde von Abaelard fortgesetzt: Auch über die die Vernunft übersteigenden Dinge, muss man vernünftig sprechen können. Andernfalls muss man schweigen – aber dann gäbe es keine kirchlichen Lehrentscheidungen und keine Theologie.
Berengar von Tours und Abaelard wurden als Irrlehrer verurteilt und das 4. Laterankonzil von 1215 hat die Lehre von der Transsubstantiation dogmatisiert.
Anselm von Canterbury 1033 bis 1109
Durch die Vernunft zur Einsicht gebracht werden – ratione cedere compellere, dieses aufregende Programm ist Ende des 11. Jahrhunderts zum ersten Mal von Anselm von Canterbury aufgestellt und entwickelt worden. Sohn eines langobardischen Vaters und einer burgundischen Mutter wurde Anselm von Canterbury, in Aosta geboren. Anselm fasste den revolutionären Plan, die grundlegenden christlichen Glaubenslehren ohne Rückgriff auf die Offenbarung und die Autoritäten der Kirchenväter sola ratione, allein gestützt auf die Vernunft, darzulegen. Anselm postulierte, dass die Dialektik (also die Logik) einen Anteil an den Gedanken Gottes habe. Daher kann der Mensch die Gedanken Gottes nachdenken und durch den Glauben zu ihrem Verstehen geführt werden: credo ut intelligam, ich glaube, damit ich Einsicht habe. Anselm von Canterbury wurde zum Vater der Scholastik „eine Methode, die die Wahrheitsfrage durch die Interpretation der Texte anerkannter Autoritäten entschied“.
Petrus Abaelardus
Seit 1109 lehrte Petrus Abaelardus, als gefeierter Logiker und freier Magister im Quatier Latin in Paris und, ab 1114 als Leiter der Domschule in Paris. Abaelardus lehrte, dass der Glaube einer vernünftigen Einsicht standhalten müsse, weil ansonsten seine Wahrheit zweifelhaft sei. Abaelards Lehrbegabung zog Schüler aus ganz Europa an. Weil er eine Liebesaffäre mit Héloise (der Nichte des Kanonikus Fulbert) hatte, ließ dieser Abaelard 1118 entmannen. Abaelard zog sich daraufhin in das Kloster Saint Denis zurück, was zur Folge hatte, dass der Bischof von Paris die Domschule für externe Studenten schließen musste.
Der Investiturstreit
In der geistigen Auseinandersetzung des Investiturstreits entdeckten die Kontrahenten, dass sich beide Seiten oft auf dieselben Stellen der Heiligen Schrift oder sich auf dieselben Autoritäten stützten, diese aber verschieden interpretierten. In seinem epochalen Werk: Sic et Non – Ja und Nein stellt Petrus Abaelard zu 158 kontroversen Fragen aus Theologie, Philosophie und Kirchenrecht jeweils sich widersprechende Aussagen der Kirchenväter gegenüber, gibt aber selbst keine Antwort auf diese Fragen. Der Wissenschaftler hat das Recht, zwischen dem Widersprüchlichen mit Gründen zu entscheiden und neue Fragen, ohne Rückgriff auf die Vorderen zu beantworten. Der Investiturstreit war die erste ernsthafte Auseinandersetzung des Mittelalters, die nicht nur machtmäßig-militärisch und mit geistlicher Strafandrohung geführt wurde, sondern zunehmend auch mit propagandistischen und wissenschaftlichen Mitteln.
Wormser Konkordat
Mit dem Wormser Konkordat zwischen dem römisch-deutschen Kaiser Heinrich V. und Papst Calixt II. wurde am 23. September 1122 der Investiturstreit beigelegt.
Vergleichbare Vereinbarungen wurden 1208 mit Aragon, 1213 mit England und 1268 mit Frankreich geschlossen. Kaiser Heinrich V. akzeptierte den Anspruch der Kirche auf die Investitur mit (Bischofs-) Ring und (Hirten-)Stab, den Symbolen für die geistliche Ehe mit der Kirche und das priesterliche Hirtentum. Der Investiturstreit war damit beigelegt, doch hatte das Kaisertum hierdurch starke Einbußen erlitten. Die sakrale Aura des Kaisers war erschüttert und die bis dahin bestehende Einheit von Kaisertum und Papsttum aufgehoben.
Die Schlüsselfigur in der Auseinandersetzung war Papst Gregor VII. der die Freiheit der Gesamtkirche unter päpstlicher Leitung und den Gehorsam aller Fürsten in geistlichen Dingen forderte. Was geistliche Dinge sind, das bestimmte der Papst alleine.
Aus der Verarbeitung der Probleme des Investiturstreits erwuchs die europäische Rechtskultur und es entstand weltgeschichtlich erstmalig eine Rechtswissenschaft. Anfang des 12. Jahrhunderts befasste sich der Magister Gratian (gestorben vor 1160) in Bologna mit den Widersprüchen der kirchlichen Rechtstexte, die er zu einer systematischen Kirchenrechtssammlung dem Decretum Gratiani zusammenfügte. Gleichzeitig erwachte in Bologna auch das Interesse an gelehrten weltlichen Recht. Das wiederentdeckte spätantike römische Recht versprach dem Kaiser, die gesuchte Legitimationshilfe in seiner Auseinandersetzung mit dem Papst zu bieten.
Die Kirche übte Herrschaft aus, ein regimen und im Investiturstreit versuchte sich die lateinische Kirche um 1150 aus der Umklammerung der Staats-Herrscher zu lösen. Über den Umfang der kirchlichen Herrschaftsgewalt, entbrannte fortan ein erbitterter politischer und intellektueller Streit. Gesellschaftliche Strukturen müssen erdacht werden, ehe sie erkämpft und durchgesetzt werden können. Eine der Bedingungen für die Entwicklung Europas in der Neuzeit war, dass die Machtstruktur der Kirche und der ihr zustehende Denkrahmen begrenzt wurden.
Entstehung der Universität
Nachdem sich Abaelard nach seiner Entmannung in das Kloster Saint-Denis zurückzogen hatte, erbten freie Magister auf den Seine-Brücken und im Quatier Latin den Schülerstrom. Die freien Magister schlossen sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu einer universitas zusammen, wohl um korporativ ihre Rechte gegenüber dem Abt von Sainte-Geneviève durchsetzen zu können, der seit Abaelards Zeiten das Promotionsrecht der Dialektik (Philosophie) studierenden freien Magister hatte. Gleichzeitig schließen sich die Magister der Domschule zusammen, um ihre Rechte gegenüber dem Bischof von Paris durchsetzen zu können. Gegen Ende des Jahrhunderts lebten in Paris etwa 5000 Studenten, die die öffentliche weltliche Ordnung zu stören drohten, während das ungefilterte Einströmen griechischer Lehren, die geistige kirchliche Ordnung herausforderte. Alle Parteien suchten, in sich bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts hinziehenden Kämpfen einen Kompromiss, der schließlich zu der „Körperschaft der Pariser Lehrenden und Lernenden“ auf Latein, „universitas magistrorum et scholarium Parisiensium“ führte. Der päpstliche Legat Robert von Courçon, früher selbst Student in Paris, verfasste 1215 die ersten Statuten, die Papst Gregor IX. 1231 feierlich bestätigte.
Es gab vier Fakultäten: Artes (Philosophie), Theologie, kanonisches Recht, Medizin. An der Spitze der drei höheren Fakultäten standen gewählte Dekane. An der Spitze der Artisten-Fakultät der Rektor, der die Gesamt-Universität vertrat. Alle Studierenden der höheren Fakultäten mussten die Artes studiert haben. Die Fakultäten hatten, im Rahmen der Gesamtstatuten und der Aufsicht des vom Bischof ernannten Kanzlers der Universität, das Recht der Selbstverwaltung und das Satzungsrecht.
Herausforderungen und neues Ideengut
Franziskaner und Dominikaner hatten mittlerweile Studienhäuser in Paris mit eigenen Magistern. Die Ordensmitglieder hörten an der Universität und die Universitäts-Studenten in den Studia der Ordenshäuser. Ein Magister-Titel in den artes war die Voraussetzung des Studiums der Theologie. Der Lehr- und Prüfungsplan der artes berührte somit unmittelbar die Theologische Fakultät.
Artes in der Rosette
Die Fensterrose im Nordteil der Kathedrale von Laon (1180 bis 1190 erbaut) ist eine der ersten gotischen Rosetten. Sie wurde durch Maueraussparungen gestaltet und zeigt als Zentralmotiv die von 8 Buntfenstern eingerahmte Weisheit. Diese wird durch die Darstellung der Philosophie umringt von den Sieben freien Künste (Personifizierungen der Rhetorik, Grammatik, Dialektik, Astronomie, Dialektik, Arithmetik, Geometrie) sowie der Heilkunde verkörpert. Diese wurden in der bischöflichen Schule von Laon gelehrt.
Als Magister der artes begannen, den ganzen Aristoteles in das Studium der Dialektik einzubeziehen, war der Ärger vorprogrammiert, denn die sogenannten naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles (Physik, Metaphysik) waren mit dem christlichen Glauben unvereinbar.
Aristoteles Lehren | Kirchenlehre |
Gott der ewig unberührte bewegende Beweger | Gott, der eine Geschichte mit seinem Volk hat |
Gott der Eine Einfache | Gott der Dreifaltige |
ewige Welt | geschaffene Welt |
ewige Materie | geschaffene Materie |
die Einzelseelen sind sterblich | die Einzelseelen sind unsterblich |
Der folgende Streit durchzieht die Geschichte der Pariser Universität in ihrem ganzen ersten Jahrhundert. Etwa zur gleichen Zeit erreichten Europa einige bislang weniger bekannte Texte griechischer Wissenschaft teilweise auf dem Umweg über die arabische Welt. Das jetzt wieder christliche Toledo wurde die Stadt der Religionen, in der die muslimischen Araber noch eine kulturelle und wirtschaftliche Rolle spielten und die Juden das Zentrum des sephardischen Judentums hatten. In dieser Atmosphäre gründete Erzbischof Raimund von Toledo (um 1080 bis 1152, Erzbischof seit 1125) eine Übersetzerschule, deren Blüte in der Mitte des 12. Jahrhunderts lag. Natürlich war auch Konstantinopel Quelle für antike Texte und dabei sollte nicht vergessen werden, dass bereits mit der Christianisierung Europas, eine Grundlage für die im 13. Jahrhundert erfolgende umfassende Rezeption antiker Ideen geschaffen worden war. Auf jeden Fall lösten die nach Europa einströmenden Texte große intellektuelle Unruhen aus, denn dies war eine Zeit, in der die innereuropäische Ordnung ohnehin auf nahezu allen Gebieten bedroht war.
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